Menu
Menü
X

Interview

Abschied nach (fast) 30 Jahren

Horst-Werner Korf verlässt den Kirchenvorstand Hausen und blickt auf ereignisreiche Jahre zurück.

Wann und wie kamst Du in den Kirchenvorstand?

1994 fragte mich der damalige Gemeindepfarrervon Hausen und Garbenteich Heinrich Meissner, bis heute ein enger Freund, ob ich mir trotz vielfältiger beruflicher Verpflichtungen als Direktor der Dr. Senckenbergischen Anatomie in Frankfurt, eine Mitarbeit im Hausener Kirchenvorstand vorstellen könne. Wegen Querelen um „Körbers Grund“ (es ging um Verträge mit der Stadt Gießen, die Aufforstung eines Wiesenstücks der Hausener Kirchengemeinde und Holzrechte) waren einige wichtige Mitglieder des KV zurückgetreten und es galt, diese Lücken zu füllen, und wenn es auch nur bis zum Ende der Wahlperiode in 1997 wäre. Da ich bis zu meinem Abitur schwankte, ob ich Theologie oder Medizin studieren sollte, fasste ich die Anfrage meines Freundes als einen persönlichen Ruf zur Mitarbeit auf, sagte zu und wurde vom verbleibenden KV einstimmig nachberufen. 

Vom ersten Tag an fühlte ich mich hier sehr gut aufgenommen und getragen. Die gemeinsamen Sitzungen, Planungen und Arbeiten mit Werner d´Amour, Hannelore Ilguth, Gilda Jost, Robert Will, Karin Schoner, Norbert Schlagdenhauffen, Inge Kirchmann, Erika Mußmann, Gerhild Teichmann und Ingeborg Niebergall waren prägende Erlebnisse für mich. So entschloss ich mich, bei der KV-Wahl 1997 zu kandidieren, und wurde tatsächlich gewählt, als „Zugereister“ natürlich nur mit knapper Mehrheit (wie übrigens bei allen weiteren Wahlen auch).

 

Wie viele Pfarrer und KV-Vorsitzende hast Du während dieser Zeit erlebt?

Das waren einige. Nach dem Wechsel von Heinrich Meissner nach Wallmerod übernahm zunächst der Garbenteicher Pfarrer Heinrich Preiss die Vertretung der Pfarrstelle und wurde vom Vikar Kischke-Kilian unterstützt. Erich Hülle wurde zum KV-Vorsitzenden gewählt und führte uns mit straffer Hand, Menschenfreundlichkeit und großem, manchmal verschmitztem Humor. Ein besonders wichtiges Anliegen für ihn war, dass auch die im Gießener Stadtteil Petersweiher lebenden Gemeindeglieder ihre letzte Ruhe auf dem Hausener Friedhof finden konnten. Es ist ihm gelungen und er liegt hier begraben.

1997 übernahm das Pfarrerehepaar Rüdiger und Christa Haug die Hausener Pfarrstelle je zur Hälfte und initiierte die Gründung des Petersweiherkreises , heute Mittwochskreis, den Neu- und Ausbau des Gemeindehauses (liebevoll Pfarrsälchen genannt) und den Einbau eines ausdrucksvollen Glasfensters an der Stirnseite der Friedhofskapelle.

In 2002 wurde Christa Haug pensioniert, Rüdiger Haug wurde in die ganze Pfarrstelle eingesetzt. Im gleichen Jahr übernahm Karin Schoner den Vorsitz im KV – ein Glücksfall für unsere Kirchengemeinde. Mit größter Umsicht, hoher Empathie und menschlicher Wärme führte sie KV und Kirchengemeinde bis 2012. In die Periode ihrer Amtszeit fielen viele große Ereignisse, die das Gemeindeleben nachhaltig beeinflusst haben.

Nach der Pensionierung von Rüdiger Haug in 2006 wurde die Hausener Pfarrstelle auf eine halbe Stelle gekürzt. Für  die Hausener Kirchengemeinde trug die enge Zusammenarbeit zwischen Hausen und Garbenteich wiederum gute Früchte: Formal übernahm Christine Specht die Hausener Pfarrstelle, aber sie übte ihre segensreiche Arbeit in sehr enger Verbindung mit ihrem Mann Andreas Specht aus. Aus der Kirchengemeinde Watzenborn-Steinberg wurde den Gemeinden Garbenteich und Hausen/Petersweiher eine 0,3-Stelle zugewiesen, die zunächst von Alexander Klein und – nach seiner Wahl zum Stadtjugendpfarrer im Dekanat Gießen – von Marisa Mann übernommen wurde. Beide haben diesen Auftrag mit einem Höchstmaß an Zugewandtheit und Engagement erfüllt, wie auch Vikar Johannes Lohscheidt.

Da Spechts in Garbenteich wohnten, stand das Hausener Pfarrhaus leer und wurde an Stefan Brenne und seine Familie vermietet, der 2012 auch den Vorsitz im KV übernahm und ihn bis vor kurzem ausübte. Während seiner Amtszeit sorgte er bspw. für Filmabende und Pflanzentauschaktionen und es entstanden ein barrierefreier Zuweg und ein toller Außenplatz vor der Kirche, die sehr gut von der Gemeinde angenommen wurden und rege genutzt werden.

Nachdem Christine Specht in die Kirchengemeinde Allendorf wechselte und Andreas Specht zum hauptamtlichen stellvertretenden Dekan gewählt wurde, erfuhren die Hausener und Garbenteicher Kirchengemeinden ihre erste Durststrecke. Pfarrer Paulmann leistete Dienste als Vertretungspfarrer in „Garbenhausen“, tatkräftig unterstützt von Pfarrerin Mann, die sich über alle Maßen um unsere Gemeinden kümmerte und kümmert. Natürlich bietet eine vor Ort besetzte Pfarrstelle eine wesentlich bessere Verankerung zwischen Kirche und den Menschen im Ort. So waren wir froh, dass die Pfarrstelle in Hausen und Garbenteich im Frühjahr 2020 mit Merten Teichmann wieder besetzt werden konnte. Leider war diese Periode nur sehr kurz und wir standen 2021 vor einer erneuten Vakanz, die nur durch das hohe Engagement des Hausener und Garbenteicher KV, Marisa Mann, Claudia Kuhn als Vertretungspfarrerin und Dekan Witte-Karp überbrückt werden konnte. Heute können wir glücklich und sehr dankbar sein, dass die Pfarrstelle in Garbenteich und Hausen mit Pfarrerin Sabine Guder besetzt wurde, die in kürzester Zeit durch großen Elan und Einsatz, tolle Gottesdienste und Aktionen in beiden Gemeinden bestens angekommen ist und seit zwei Monaten auch den Vorsitz des Hausener KV von Stefan Brenne übernommen hat.

 

Welche Höhepunkte hast Du in Deiner Zeit als Kirchenvorsteher erlebt?

Gott sei Dank gab es viele Höhepunkte! Ich habe bewegende „reguläre“ Gottesdienste z.B. bei den Konfirmationen, Taufen, zu Erntedank (mit und ohne Kartoffelfest), Ewigkeitssonntag, Weihnachten und Silvester erlebt. Besonders schön waren die Familiengottesdienste mit den Musicals und vielen Kindern und Jugendlichen. Auch die Themengottesdienste waren Highlights. In besonderer Erinnerung habe ich den Gottesdienst zu „Anatomie und Auferstehung“, den ich gemeinsam mit Pfarrer Haug gestaltet habe im Rahmen der großen Kontroversen um die Ausstellung „Körperwelten“, die 2004 in Frankfurt lief.

2004 brachte zwei weitere Höhepunkte: den Besuch des damaligen Kirchenpräsidenten Peter Steinacker im Hausener KV und die Visitation unserer Kirchengemeinde. Wir hatten den Kirchenpräsidenten unter Umgehung des Dienstwegs (hierfür wurden wir übrigens von Probstei und Dekanat scharf gerügt), direkt zu einer Sitzung des Hausener KV eingeladen, um unsere Bedenken gegen die Kürzung von Pfarrstellen in den Gemeinden nach dem Motto „Die Kirche muss im Dorf bleiben“ an höchster Stelle vorzutragen und die Sinnhaftigkeit der sog. Profilstellen kritisch zu hinterfragen. Auch die Visitation ist mir noch lebhaft in Erinnerung.

In nächtelangen Sitzungen haben Karin Schoner und ich den Bericht zur Visitation vorbereitet und erstellt. Dieser Bericht ist selbst heute noch sehr lesenswert, genau wie die von Werner d´Amour in Reimen verfasste Schlussbetrachtung.

Von besonderer Strahlkraft waren die Aktionen zur Renovierung unseres Kirchendachs in 2008 unter dem Titel „Die Hausener Kirche neu bedacht“. Unterstützt von Matthias Hartmann wurde eine große Spendenaktion gestartet. Höhepunkt war das Sommerfest unter aktiver Beteiligung aller Vereine des Dorfes mit Gottesdienst unter freiem Himmel und im Zelt vor der Kirche. Das von meinem Freund Manfred Schardt erbaute Spendenbarometer vor der Kirche stieg und stieg. Hier stand unsere Kirche wirklich deutlich sichtbar im Mittelpunkt des Dorfes.

Eine sehr nachhaltige Entscheidung war die Gründung des Kinderkirchenchors in 2002, mit dessen Leitung meine Frau Beate beauftragt wurde. Es ist wirklich sehr befriedigend, welche Entwicklung dieses Projekt genommen hat. Aus zehn Kindern in den Anfängen wurden im Verlauf 30 Sänger und inzwischen schicken die ehemaligen Kinderchorkinder ihre eigenen Kinder in diesen Chor. 

Es kam zu einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Kinderchor und den bereits seit Jahren bestehenden „Freitagsgruppen“, die von Birthe Steiß und ihrem Team mit großem Erfolg geleitet und betreut wurden. Gerade durch diese Zusammenarbeit konnte Nachwuchs gewonnen werden. Es fanden sich immer wieder Teamer, die bei diesen Gruppen aktiv mitgearbeitet haben (Tessa Schäfer, Alice Brettmann, Marga und Elena Melnikov, Tibelia Massow, Christina Lembke, Kathrin Schmidt und Adriana Müller) oder bis heute noch mitarbeiten (Jenni Weis, Rie-Luise und Julius Schöffmann).  Mit der Veranstaltung „Bibel auf – hereinspaziert!“ wurde ein neues Format des Kindergottesdienstes gefunden, das bis heute jedes Mal 20 bis 30 Kinder anzieht. Besonders freut es mich, dass die aktive Kinder- und Jugendarbeit auch dazu geführt hat, dass bei der KV-Wahl in 2021 mit Jenni Weis und Jenny Rempel zwei Jugendliche in den Hausener KV gewählt wurden.

 

Gab es denn auch Tiefpunkte oder weniger schöne Ereignisse?

Ja, natürlich gab es die, so wie im Leben allgemein. Der Weggang von Pfarrer Teichmann und das Hin und Her des Dekanats zu den Weihnachtsgottesdiensten im Coronajahr 2020 führte zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb des KV, die aber Gott sei Dank ohne bleibende Blessuren überwunden werden konnten. Als einen Tiefpunkt empfinde ich die Auflösung des über 95-jährigen Hausener Kirchenchores und ich bedaure sehr, dass unsere intensiven Bemühungen, den Chor durch Gewinnung neuer Sänger am Leben zu halten, erfolglos waren. 

Ein großer Tiefpunkt im wahrsten Sinne des Wortes ist der große bauliche Schaden an unserem Pfarrhaus, das wegen der großen Setzungsrisse inzwischen unbewohnbar ist. Ob und wie diese Probleme zu lösen sind, bleibt abzuwarten, und ich hoffe und wünsche, dass hier in die Zukunft tragende Lösungen zum Wohle unserer Kirchengemeinde gefunden werden.

 

Was war Dir als KV-Mitglied besonders wichtig?

In erster Linie sind mir die Kernbotschaften unseres christlichen Glaubens, das Vertrauen in die Liebe unseres Gottes und die Liebe für unseren Nächsten wichtig. Mit Gottvertrauen habe ich mich an erster Stelle immer für die Menschen in unserer Gemeinde interessiert und habe versucht, dort Hilfe zu leisten, wo Not an Mann oder Frau war. Ganz besonders am Herzen lag und liegt mir die Kinder- und Jugendarbeit, für die ich mich ja nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten, z.B. beim Schleppen von Kostümen, Instrumenten und Biergartengarnituren, eingesetzt habe. Eine weitere Herzensangelegenheit war mir der Erhalt des Kirchenchores und ich bin immer noch traurig, dass uns das nicht gelungen ist.

Auch der Gemeindebrief war mir wichtig und ich bin sehr froh, dass ich ihn in den letzten Jahren mitgestalten konnte. In all den Jahren meiner Zugehörigkeit zum KV kam es mir immer darauf an, dass Klartext gesprochen wird, die Probleme beim Namen genannt werden und evtl. aufkeimende Konflikte mit offenem Visier konstruktiv angegangen werden. Lieber ein „Sprechen mit“ als „Sprechen über“.

 

Welche Themen haben Dich bezüglich Kirche in den letzten Jahren besonders beschäftigt?

Natürlich ist der Prozess EKHN 2030 das Thema, das uns alle beschäftigt. Sehr  besorgt bin ich, dass dieser Prozess die  große Gefahr birgt, dass wir uns mehr  mit Organigrammen und Organisationsformen beschäftigen, uns also in eine  nach innen gerichtete Aktivität stürzen,  statt zu überlegen, wie wir in heutiger  Zeit auf die Menschen zugehen und  ihnen eine Heimat bieten können. Wir müssen meiner Ansicht nach wegkommen von leeren Floskeln, vermeintlich griffigen Schlagworten, die wir in jeder Werbung hören können. Stromlinienförmigkeit und eine völlige Anpassung an die Vorgaben und Bedingungen der modernen Welt werden unsere Kirche nicht in eine bessere Zukunft führen. Gerade in der heutigen, relativ unpersönlichen Gesellschaft sollten wir uns auf unsere Kernkompetenz, den Dienst an Gott und den Menschen zurückbesinnen und diese in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen.

 

Warum legst Du nun dein Amt nieder?

Ein jegliches hat seine Zeit. Seit zwei Jahren planen Beate und ich, unseren Lebensmittelpunkt von Hausen nach Bad Schwartau zu verlegen, um näher an der Familie unserer Tochter Eva Magdalena, ihrem Mann und unseren beiden Enkeltöchtern Martha und Elisabeth zu sein, die in Lübeck wohnen. Nun ist der Zeitpunkt gekommen, wo diese Pläne in die Tat umgesetzt werden und ich würde meine Aufgaben im KV, wenn überhaupt, nur noch sehr sporadisch wahrnehmen können. Da wir im KV aber Menschen brauchen, die sich regelmäßig und aktiv an den vielfältigen Aufgaben eines KV beteiligen, habe ich mich entschlossen, mein Amt als KV-Mitglied zur Verfügung zu stellen. 

Unserer Kirchengemeinde, die uns sehr ans Herz gewachsen ist und uns über Jahrzehnte Heimat und Geborgenheit geboten hat, wünschen Beate und ich alles Gute und Gottes reichen Segen. 


top